Artgerechte Haltung oder die Idee einer solchen macht mir meine Arbeit oft sehr schwer. Warum?, fragen sich die geneigten Leserinnen.

Weil die Idee der artgerechten Haltung oft eben nur eine Idee ist. Eine Idee, die so massiv an der Wirklichkeit vorbei geht, dass man nur scheitern kann.
Was aber spricht jetzt dagegen es seinem Pferd, Hund, Katze, Maus, Tiger, Elefant (die älteren erinnern sich vielleicht noch an die Montagsmaler ;-) ) so artgerecht wie möglich zu machen? Nichts…rein gar nichts.
Häufig ist die Idee der artgerechten Haltung so reduziert, dass Pferdebesitzer schon eine stolz geschwellte Brust bekommen wenn ihr Pony nicht 24 Stunden in der Box zubringt.
„Wir leben hier eine extrem artgerechte Haltung. Die Pferde sind den ganz Tag draussen und können sich ihr Essen selber suchen. Die wissen was für sie gut ist. Der Körper weiß das!“
Wir übersetzen das jetzt mal…den ganzen Tag draussen bedeutet im Sommer - Wiese! Und zwar egal ob für das fette Shetty, den stoffwechselerkrankten Haflinger, den Ekzemer-Tinker oder den Quarter auf Dauerdiät. Pferde fressen Gras, also ist Wiese artgerecht. Und draussen ist auch artgerecht.
Im Winter bedeutet das matschiges Paddock vor matschigem Unterstand. Häufig zu klein, häufig mit zu wenig Fressplätzen. (An dieser Stelle bitte ich alle Leserinnen bei denen das gar nicht so ist, sondern viel, ganz und überhaupt anders, tief zu atmen und zu wissen, dass sie nicht gemeint sind!) Im Winter bedeutet das für das extrem artgerecht gehaltene Pferd, egal ob kalt oder nass, viel Fell oder wenig Fell, keine Decke, weil die ist unter gar keinen Umständen artgerecht. Über das Thema Decke habe ich in einem anderen Beitrag schon schwadroniert. Das führe ich jetzt nicht weiter aus. Aber egal wie, die wenigsten Pferde sind bei uns auch nur näherungsweise artgerecht gehalten. Zu wenig artgerechte Bewegung, zu wenig oder zu viel Futter, zu hochkalorisch oder in schlechter Qualität, zu große sich schnell verändernde Herden….usw.
Wie auch immer die Haltung aussieht, egal wieviel Mühe sie macht, wie sehr man an den eigenen Ansprüchen gescheitert ist oder wie sehr man sich unentwegt auf die Schulter klopft, vielleicht könnten wir uns darauf einigen, dass Nichts an unserer Pferdehaltung artgerecht ist.
Einatmen, ausatmen…wir halten Pferde und Pferdehaltung ist weitestgehend Kompromiss. Schön, großartig, nötig, unumgänglich wäre, dass sich der Kompromiss zum Wohle aller Beteiligten regeln lässt. Vielleicht macht es Sinn, schon bevor man sich ein Pony anlacht oder von einem Pony gekapert wird, sich Gedanken zu machen was leistbar ist. Die Realität oder die Bedürfnisse des Pferdes stellen einen, unter Umständen, auch nach allen Überlegungen, vor neue Herausforderungen.
Allein die Annahme, dass wir alle einen Kompromiss leben wäre oft schon so hilfreich. Das beiseite legen von Vorannahmen, Dogmen und diesen wunderbaren, von uns allen geliebten…“Das haben wir schon immer so gemacht“ Ideen…es wäre so hilfreich. Gelassenheit auf allen Seiten…bei denen, die geneigt sind andere zu beurteilen und häufig ungefragt ihre Meinung weiter zu reichen, aber auch bei denen, die dazu neigen sich jeden Schuh, der Ihnen gereicht wird anzuziehen.
Es wäre so hilfreich uns mehr Zeit zu nehmen unseren Pferden zuzuschauen. Was machen die so den ganzen Tag, wen mögen die, wen nicht, wie regeln sie ihre Streitigkeiten, Auseinandersetzungen…und wenn wir das studiert haben, dann schauen wir uns zu und überlegen, was mag ich eigentlich, mag ich gerne spielen, oder mich körperlich abarbeiten, mag ich auf ein Ziel hin trainieren, finde ich es toll an Wochenenden auf Turnier zu fahren und mich mit anderen zu messen…was auch immer.
Und wenn wir das alles zusammen gewurschtelt haben…dann finden wir „unser“ Artgerecht, das Artgerecht, das wir leben und erhalten können, ohne jeden Tag an der Pferdehaltung zu verzweifeln…ich bin mir sicher.
Und wenn es nicht ganz klappt dann wird halt mal wieder lästerlich geflucht, gejäht und gezornt und dann geht es auch wieder… ;-)
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